Die Titelseite:

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Verlagsmitteilung

„Seitensprünge" - nur für dich, Geliebte

Das neue Buch des FORUM-Autors Jochen Zillig erscheint zur Buchmesse

Schreibideen spuken immer in Jochen Zilligs Kopf herum. Doch nicht alle lassen sich literarisch umsetzen oder passen in ein schlüssiges Konzept. Erst ein „Musenkuss" sorgt dann dafür, dass die entscheidenden Strukturen plötzlich wie aus einer Nebelwand auftauchen. So inspirierten den Autor Zillig ausgerechnet Besuch und Lesung bei der Riedbuchmesse im vergangenen Jahr so sehr, dass nach einem anschließenden Spaziergang über den Kühkopf Form und Inhalt seiner jetzt erschienenen Erzählung „Seitensprünge" feststanden. Eine erste Grobfassung der neuen Geschichte lag daher bereits nach den Osterfeiertagen 2002 vor.

Vier Personen sind die Protagonisten der Geschehens, das sich zu etwa gleichen Teilen im Umfeld der Neunkircher Höhe, in Bensheim und im Ried abspielt: der Schriftsteller Jürgen Treffert, die auf ihren internationalen Durchbruch hoffende Schauspielerin Daniela Witzleb, der Theaterfreak und Lehrer Peter Blechschmidt und die abgebrochene Germanistik-Studentin Christine Schader. Doch auch die pfiffige Wurstwarenverkäuferin Anette Ritzert („Trefferts Vulpius") mischt sich entscheidend in die Handlung ein.

Zilligs Erzählung beginnt mit einem Desaster für den in Neunkirchen unweit der Modauquelle wohnenden Schriftsteller Treffert. Dieser scheitert mit seinen Versuchen, einen fesselnden Roman über die abenteuerliche Lebensgeschichte des real existierenden Peter Blechschmidt zu verfassen. Per Zufall erhält Treffert stattdessen den Erfolg und gute Entlohnung versprechenden Auftrag, für das Filmsternchen Daniela ein Drehbuch zu schreiben.

Diese Arbeit verläuft zunächst wunsch- und programmgemäß. Daniela und Treffert vereinbaren für den Hollywoodfilm eine rührselige Geschichte, doch dann greift die chaotische Christine ein. Die Dinge laufen Treffert vollkommen aus dem Ruder und bringen den eigentlich bereits aus allen Computer-Dateien des Autors verbannten Peter Blechschmidt ganz unvorhergesehen zurück ins Spiel.

Jochen Zilligs Erzählung hieß zunächst „Nach drüben", bald danach „Für dich, Geliebte". Letzten Herbst kündigte das FORUM noch „(S-)Zeitensprünge" als Neuerscheinung an. „Seitensprünge" heißt das Manuskript seit Weihnachten. „Gerade wegen seiner Vieldeutigkeit", erklärte Zillig damals, „ein zutreffender und neugierig machender Titel."

„Seitensprünge" ist nach „Flach das Land und der Rhein mittenmang" und „Toskana Blues" das dritte im Forum-Verlag herauskommende Werk des über drei Jahrzehnte im Ried als Lehrer tätig gewesenen Bensheimers. Und es ist sicherlich auch das bisher literarisch überzeugendste Buch Jochen Zilligs. „Seitensprünge" – die ganz reale Erzählung - hat 190 Seiten, kostet 12.80 € und kann nicht nur bei allen Buchhandlungen (ISBN 3-9807543-6-7), sondern auch im Forum-Online-Buch-Shop (www.forum-verlag-riedstadt.de) erworben werden.

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Leseprobe:  

Kapitel 5 & 6 der Erzählung

5  

19. Februar 1961, fünf Uhr früh. Eine Hundertschaft Bereitschaftspolizei umzingelt geräuschlos das Mehrfamilienhaus in der Bensheimer Rhönstraße, in dem die Blechschmidts wohnen. Dann wird nach Pfiff des Einsatzleiters die Eingangstür eingetreten, die eiserne Kellertür auf der anderen Seite des Blocks aus ihrer Verankerung gesprengt. In Gruppen zu je vier Mann stürmen die Polizisten mit entsicherten Pistolen in den zweiten Stock. Doch ehe sie Blechschmidts Abschlusstür erreichen, empfängt sie Josef schon im Morgenmantel im Hausflur:

„Treten Sie doch bitte ein“, wendet er sich spöttisch an den Ranghöchsten in seiner Nähe, „aber machen Sie doch nicht so einen Krach!“

Man schiebt ihn beiseite, die nachfolgenden Polizisten legen ihm Hand- und Fußfesseln an und zerren ihn in einen Mannschaftswagen.

Lisa, Josefs Frau, ist aufgewacht und hastet im Nachthemd aus dem Schlafzimmer zu Peters Kinderzimmer.

„Er ist krank, lassen Sie ihn in Ruhe!“, fleht sie die Männer an.

„Klappe, Alte, zieh dir was an, dann kommst du mit!“

Ein hagerer Mann in Zivil hält ihr einen Zettel vors Gesicht. „Durchsuchungsbefehl“, entziffert Lisa benommen.

Eine Polizistin mit Gummiknüppel in der rechten Hand zieht Lisa in ihr Schlafzimmer zurück und knipst die Lichter an.

„Ausziehen!“, herrscht sie die Verängstigte an.

Lisa schreit vor Scham.

„Ruhe, Sie werden das doch kennen von früher, oder?“

Lisa nickt.

„Also, keine Tricks! Wo bewahren Sie ihre Kleidung auf?“

Lisa deutet auf die Kommode neben dem Schrank.

Die Frau reißt die Schubladen auf und wirft ihr Unterwäsche und wollene Socken hin.

„BH?“

„In der Wäsche. Hängt zum Trocknen über dem Küchenherd!“

„Dann eben ohne. Los jetzt, mach!“

Die Beamtin reicht Lisa Rock und Strickjacke und lässt sie hineinschlüpfen.

„Mantel? Schuhe?“

„An der Garderobe. Was haben Sie vor?“

„Wird alles auseinandergenommen hier. Alles. Jedes Stäubchen untersucht. Verfassungsfeindliche Aktivitäten Ihres Mannes, kennen Sie ja. Auch Ihr Garten hinterm Haus wird gefilzt. Scholle für Scholle. Metertief. Dafür müssen Sie uns eigentlich dankbar sein. Grinsen Sie nicht, wir finden alles. Die Frage ist nur, ob Sie mit drinstecken.“

„Noch nicht einmal beim Hitler hat sich die Gestapo so was erlaubt!“

„Tja, wir sind auch nicht der Hitler. Und dass Sie mich mit der Gestapo vergleichen, hat Folgen für Sie. Das verspreche ich Ihnen. Aber raus jetzt!“

Sie fesselt Lisa mit einer Handschelle und stößt sie hinaus auf den Flur.

„Und Peter?“

„Kommt vorübergehend in ein Kinderheim, solange Ihre Unschuld nicht bewiesen ist. Dort ist er gut aufgehoben!“


6

 

Treffert hat bisher niemals ernsthaft getestet, ob er tatsächlich die Befähigung zum Koch besitzt. Es sei nicht die Aufgabe eines etablierten Schriftstellers, sich mit der Herstellung kulinarischer Köstlichkeiten zu befassen, war seine immer wieder gegenüber Freunden und Bekannten geäußerte These. Leute wie er hätten stattdessen geistige Genüsse zu kreieren, an denen sich auch die Nachwelt noch delektieren könne. Trefferts wenig abwechslungsreicher häuslicher Speisenplan ist deshalb insbesondere während seiner Schaffensperioden geprägt von den Erzeugnissen global expandierender Lebensmittelkonzerne: Lauchcremesuppe von Lacroix oder tiefgefrorene „Pikante Salamipizza“ von Dr. Oetker führen seine persönliche Hitparade an, gefolgt von der „Gyrospfanne“ aus dem Hause Aldi und dem in Alu-Folie eingeschweißten Iglo-Produkt „Kalbsfrikassee in Reis und Buttererbsen“.

Heute will sich der Autor aber einmal in dem ihm weitgehend unbekannt gebliebenen Handwerk Kochen versuchen. Aus dem Internet hat er sich ein original italienisches Pastarezept heruntergeladen und den Ausdruck über seinem Küchentisch mit einer Heftzwecke an die Wand gehängt. Während die Tagliatelle bereits im Salzwasser sprudeln, schält Treffert tränenreich Zwiebeln und putzt danach braune Champignons. Gespannt beobachtet er ihre nie erlebte Metamorphose im kochendheißen Bratfett. Nachdem er Knoblauch hinzugefügt hat, schneidet der Dichter präzise den klebrigen Gorgonzola in zentimeterbreite Streifen und verrührt ihn in der bereits überquellenden Pfanne. Jetzt muss er nur noch die vier Tomaten erhitzen, schälen, ...

Warum aber stinken die Nudeln plötzlich so penetrant? Treffert reißt den Deckel vom Topf und erkennt die Bescherung: Das Wasser ist vollkommen verdampft, die ehedem weiße Pampe grinst ihn in allen erdenklichen Braunschattierungen an.

„Und drunter wird alles verkohlt sein“, analysiert er messerscharf und befördert das von seiner Großmutter ererbte gute Stück blitzschnell in die Spüle. Zischend verdampft in ihm das eingefüllte kalte Wasser.

Doch ein Unglück kommt selten allein. Während sich der Dichter mit einem uralten Abrazo-Würfel bemüht, die verkohlten Nudelreste vom Boden seines Topfs zu entfernen, kündet schwarzer Qualm vom tragischen Ende der Pastasauce.

„Verdammt!“, schreit der genervte Autor. „Elende Scheiße, verflixte Kocherei!“ Er taugt eben wirklich nicht zu handwerklicher Tätigkeit. Treffert schaltet den Herd ab und übergibt die traurigen Überbleibsel seiner vergeblichen Anstrengungen draußen der Biotonne. „Möget ihr als nährstoffreiche, krümelige Erde einmal eine bessere Bestimmung finden!“, wünscht er ihnen.

Dann setzt sich Treffert auf sein bereits seit Monaten nicht mehr genutztes Fahrrad und saust wie ein junger Wilder den Berg hinab nach Brandau. Currywurst und Pommes frites am Stand vor dem „Edeka“ sollen dort seinen Hunger stillen und ihn seine gescheiterten Kochversuche vergessen lassen.

Während Treffert eine Stunde später gut genährt, doch unfähig, die Steigung nach Neunkirchen hinauf allein mit der Kraft seiner Beinmuskulatur zu überwinden, sein Fahrrad schiebt, wird ihm endgültig klar, dass der Laptop das Arbeitsgerät bleiben wird, mit dem er auch zukünftig – Krise hin, Krise her – seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Notwendig ist dies schon deshalb, weil der Postbote ihm heute Morgen gleich zwei Mahnungen in den Briefkasten steckte. Der Hessische Rundfunk erinnert ihn an die Abgabe des Schulfunk-Manuskripts über den Rheinübergang des Schwedenkönigs Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg und die Verlegerin verlangt mit freundlichen Worten die Rücküberweisung des für „Nach drüben“ gewährten Vorschusses.

Obendrein weiß Treffert, dass in den nächsten Wochen die außergewöhnlich hohe Rechnung für den gebuchten Toskana-Urlaub fällig wird. Diese Verpflichtung war er leichtsinnigerweise in Erwartung der Honorare aus seinem neuen Roman eingegangen.

Es hilft nichts, er muss dringend wieder Geld verdienen. Am einfachsten geht das mit dem Schulfunk-Manuskript. Dazu benötigt er jedoch noch ein paar Informationen. Soll er jetzt gleich die Gelegenheit nutzen und beim Pfarrer oder dem historisch bewanderten Leiter des evangelischen Jugendheims vorbeifahren? Soll er mit dem Helm unterm Arm bei ihnen anklopfen und an Sie folgende Bitte richten:

„Guten Tag, ich bin der hier seit über fünf Jahren ansässige und Ihnen sicherlich vom Namen her bekannte Schriftsteller Jürgen Treffert. Zwar zahle ich keine Kirchensteuern, aber wenn Sie vielleicht trotzdem so freundlich wären, mir auf die Schnelle ein paar Unterlagen über den Retter des deutschen Protestantismus zu übergeben, dann ...“

Nein, so geht das nicht. Er ist nicht der Typ, der sich bei anderen Leuten einschmeichelt. Ganz abgesehen von seinem momentan leicht lädierten körperlichen Zustand: abgekämpft, schwitzend und wahrscheinlich mit rotem Kopf. Da quält er sich lieber noch drei weitere Minuten den Hang hinauf, wählt – wie immer in Not- und Krisenzeiten - Vitos Nummer in Frankfurt und fragt ihn um Rat. Vito ist sein väterlicher Freund aus jenen längst vergangenen Zeiten, als sie beide noch für den Fischer Taschenbuchverlag arbeiteten: Treffert als blutjunger Nachwuchsliterat, Vito als Lektor seines ersten Romans, den er noch unter dem Pseudonym Ralf Bonsai veröffentlichte. Sein sinnen- und trinkfreudiger Kumpel erklomm bald danach als Gründer und Lenker eines eigenen „Verlags mit der Schnake“ ungeahnte Höhen, stürzte jedoch nur wenige Jahre darauf ebenso tief wieder ab. Dennoch, er galt und gilt weiterhin etwas im Literaturbetrieb der Republik und er scheut sich nicht, seinen Freunden manch nützlichen Tipp zu geben.

Treffert hat zum ersten Mal an diesem Tag Glück. Sein alter Spezi meldet sich gleich beim ersten Klingelton. „Über den Schwedenkönig brauchst du was, mein kleiner Bonsai? Kein Thema, da kann ich dir helfen. Erst neulich habe ich nämlich beim Frühstück in der FAZ eine Notiz über diesen Kerl entdeckt. Genauer gesagt im Lokalteil Groß-Gerau. Eine Neuerscheinung wurde dort erwähnt. Die könnte thematisch zu deinem Thema passen. Peter heißt der Autor. Oder auch Pater. Wenigstens so ungefähr. Ein Goddelauer Verlag soll das Buch gemacht haben. Nie gehört von diesem Betrieb, ebenso wenig von diesem Pater-Peter. Den Rest musst du alleine rausfinden!“

Auch zum Hauptproblem Trefferts, seinen ungeordneten Finanzen, fällt Vito eine Lösung ein. „Wir setzen uns einmal zusammen, aber nicht droben in deiner spießigen Hütte, sondern beim Mühlum in Neutsch, wo du ja auch öfter verkehrst. Ich hätte da vielleicht eine Beschäftigungsmöglichkeit, die dir als großem Freund ansehnlicher Frauen bestimmt sofort gefallen dürfte!“

Plötzlich ist Lärm in der Leitung. Jemand scheint in Vitos Zimmer gestürzt zu sein und brüllt etwas von Überfall und Brand im World Trade Center und Flugzeugabsturz auf das Pentagon.

„Du, Bonsai, da ist scheinbar etwas passiert bei den Amis. Mach deine Glotze an, wenn du mehr wissen willst. Ich möchte mir das jedenfalls nicht entgehen lassen. Ruf mich morgen noch mal an. Wir machen dann den Termin wegen Neutsch!“

„Tausende Tote!“, hört Treffert eine andere Stimme schreien, dann hat Vito aufgelegt.

Treffert schaltet die ARD ein. Ulrich Wickert spricht mit hohler, betroffener Stimme vom Chaos im Nordturm des WTC. Der Monitor neben dem Moderator zeigt Flammen und Rauchschwaden, die aus dem Wolkenkratzer dringen. Plötzlich verfolgt die New Yorker Kamera ein Flugzeug, Wickert verstummt und starrt selbst auf seinen Bildschirm, bis die Regie das New Yorker Bild in der Totalen zeigt. Die Boeing fliegt direkt auf den unzerstörten Südturm zu und durchbohrt ihn in mittlerer Höhe. Trümmer fliegen umher, ein Feuerball hüllt das Gebäude ein.

„Um Gottes Willen“, denkt Treffert und stürzt ans Telefon. Christine weiß noch von nichts. „Guck dir’s an“, stammelt er, „alles brennt! Und in Washington soll auch was mit dem Pentagon passiert sein!“

Treffert zappt durch die Programme. Die Gaudisender zeigen verführerische Damen in knapper Bekleidung, sie werben für adidas und Sanella, Milka und Hugo Boss. Oder bringen Lebenshilfe: Eine Talkshow unter dem Motto: Mein Freund geht fremd, ich werf’ ihn raus!

Der Weltuntergang findet nur bei ARD und ZDF statt. Er ist also echt. Oder doch nur ein großer Gag? Wie damals in den dreißiger Jahren, als eine Rundfunkreportage über die Landung von Marsmenschen gesendet wurde und alle glaubten, es sei wirklich so?

Treffert holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank und tritt hinaus auf die Terrasse. Oben fliegen die Jets, als wäre nichts geschehen. Die rot-weiße, elliptisch gebogene Antenne der Radarstation dreht sich wie immer. Auf der Weide des Ökobauern Schneider grasen die Jungbullen. Ein paar Autos flitzen über die 300 Meter entfernte Umgehungsstraße. Im Nachbarhaus rührt sich nichts. Ein friedlicher, sonniger Dienstag mit herrlichem Sonnenschein.

Zurück am Bildschirm hört Treffert, der Luftraum über den USA sei bereits gesperrt worden. Der Präsident breche einen Schulbesuch in Texas ab. Das Pentagon brenne, auch das Außenministerium soll getroffen worden sein.

Die Kameras zeigen Feuerwehrleute, die die Treppen des WTC hinaufstürmen. Ob es da oben noch etwas zu retten gibt? ...

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Bilder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Oberhalb dieser Kirche in Modautal-Neunkirchen bewohnt der Autor Treffert eine Holzhütte, in der er das Skript für den Erfolgsfilm "Katharinenwinter" ersinnt

Das bestens bewachte US-Konsulat in der Frankfurter Siesmayerstraße ist nicht nur Ausgangs-, sondern (beinahe) auch realer Endpunkt der Erzählung "Seitensprünge".

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Pressestimmen

Bergsträßer Anzeiger vom 15.03.03:

"Seitensprünge" - mit Lokalkolorit und Zeitgeschichte

 

Jochen Zilligs neues Buch wird auf Riedbuchmesse präsentiert / Am Donnerstag Lesung bei Schlapp in Bensheim

 

Bensheim. Glück muss der Mensch haben. Für Treffert, die Hauptfigur in Jochen Zilligs neuer Erzählung "Seitensprünge", tut sich der Karrierehimmel auf. Er wird Drehbuchautor in Hollywood, die Filmdiva Daniela wird zum Quell nicht nur seiner Inspiration.

Dass er in sein Romanmanuskript bereits viel Arbeit investiert hat, ist angesichts der Hollywood-Gagen kein Problem. Das ist einer der Erzählstränge des Buches, der andere beschäftigt sich in einer Rückschau mit der Biographie des KZ-Häftlings und späteren DKP-Agitators Josef Blechschmidt aus Bensheim und dessen Sohn Peter, der den väterlichen Polit-Makel in der sittenstrengen Adenauer-Ära auszubaden hat.

Schlaglichter auf den weiteren Werdegang führen ihn von seiner Kindheit in der Bensheimer Rhönstraße geradewegs zu der betörenden Hollywood-Diva.

Eine, kompositorisch gesehen, durchaus spannende Handlung, die der Bensheimer Studienrat Zillig vor dem Leser ausbreitet: Über weite Strecken läuft so die jüngste deutsche Vergangenheit neben den Einspielungen der Gegenwart her, bis beides sich im Hier und Jetzt trifft.

Dabei webt Jochen Zillig einen Teppich aus globaler, deutscher und kommunaler Politik, kontrastiert die schillernde Filmwelt mit dem Dasein einer Brandauer Wurstverkäuferin, die hinter der Ladentheke eines Edeka-Marktes steht, oder er stellt das bodenständige Odenwälder Urgestein in seiner sozialen Kontrollfunktion der weltoffenen Schriftsteller-Szene in den Kneipen im Westen Frankfurts gegenüber.

Hauptfigur ist der Schriftsteller Treffert, der in Neunkirchen am Waldrand in einem kleinen Haus mit Holzofen wohnt, in Brandau einkauft, und als Schriftsteller viel Freiheit genießt. Der Erzähler gibt einen Intellektuellen par excellence ab, der vergessen hat, die Studentenschuhe auszuziehen. Seine Perspektive erlebt der Leser und er schaut in seine Gefühls- und Gedankenwelt, vor allem dann, wenn es um Frauen geht.

Entsprechend blass und konturlos bleiben die Frauen, die lediglich durch die Macho-Männer-Brille der Hauptfigur fokussiert werden. Zum Beispiel Christine, ihres Zeichens Haufrau, verheiratet, ein Sohn. Ihr Mann weilt überall auf der Welt, nur selten daheim. Sie liebt die Seitensprünge, so sieht es Treffert, und rennt damit bei ihm offene Türen ein.

Ebenso emotionslos beschreibt er die Trennung von seiner Ex-Frau, die die gemeinsamen Kinder an sich reißt, die er fünf Mal im Jahr am Ortsrand eines Dorfes in der Rhön dank des ihm gerichtlich zugestandenen Umgangsrecht auffischen darf. Aufgewühlt reagiert er auf die Internet-Begegnung mit dem Star Daniela. Die Recherchen und der E-Mail-Kontakt reichen aus, um seine Fantasien und seinen Hormonpegel auf Hochtouren zu bringen.

Die Realität holt ihn jedoch schnell ein. Statt des erwarteten Erlebnisses im Bett verabreicht sie ihm eine bittere Pille: Sie wartet, zwar verheiratet mit einem ehemaligen Maoisten und heutigen steinreichen Immobilienhai und Verlagsboss, auf die große Liebe, die sie wohl nur bei einem älteren Mann finden kann. Dem Leser ist sofort klar: Das Gegenstück im Liebespuzzle der Filmdiva kann nur Peter Blechschmidt, der Sohn des KZ-Häftlings, sein.

Ursprünglich waren die Blechschmidts die Romanhelden in Trefferts Manuskript. Nun taucht die Familiensaga als Handlungsstrang der Erzählung wieder auf. Eine durchaus spannende Idee des Autors, der somit einen Rundumschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte anreißt:

Die Adenauer-Ära, die Studentenbewegung Ende der 60er-Jahre, die Friedens- und Ökobewegung waren Tummelfelder des Studenten und späteren Lehrers Peter Blechschmidt, der offensichtlich mit einer avantgardistischen Lebenshaltung dem konservativen Bergsträßer Landstrich die Stirn bietet. Er ist der Schwarm vieler Frauen, selbst biederer Couleur.

Farbe bringt der Autor mit abenteuerlichen und Aufsehen erregenden Randgeschichten ins Buch. Wenn Blechschmidt etwa die Gutsbesitzerin der finnischen Erdbeerfelder nach Deutschland abschleppt, das gemeinsame Kind sich kurz vor der Geburt mit der Nabelschnur stranguliert, währenddessen die Mutter mehrere Hirnschläge erleidet, schlägt das Schicksal auf zweieinhalb Buchseiten zu. Doch damit nicht genug: Die geistig verwirrte und an den Rollstuhl gefesselte Finnin wird als Pflegefall vom deutschen Ausländeramt des Landes verwiesen.

Gerade für die leidgeprüfte Figur Blechschmidt hält die Erzählung ein traumhaftes Happyend à la Hollywood bereit. Ein Ende, das sich bereits im ersten Drittel des Buches andeutet, als der noch junge Student Blechschmidt zum Retter der späteren Filmdiva wird. Er entging nämlich dem Raster der Polizei, die in Frankfurt eine Studentendemonstration mit Wasserwerfern und Festnahmen auflöste. Er fand einen verwaisten Kinderwagen mit einem weinenden Säugling Daniela, die er vorübergehend in seine Obhut nahm.

Und zum Schluss sind die zwei das Liebespaar, das auf einer geräumigen Yacht mit einem Ausblick auf die traumhafte Weite des Mittelmeeres die Sonnenseiten des Lebens erfährt.

Ein wahrhaft Hollywood-reifes Finale des Autors, der zuvor mit "Toscana-Blues" an die Öffentlichkeit getreten war. moni

Jochen Zillig wird "Seitensprünge" an diesem Wochenende auf der Riedbuchmesse in Stockstadt präsentieren.

Eine Lesung in Bensheim ist für Donnerstag (20.) um 20 Uhr in der Buchhandlung Schlapp geplant (Eintritt frei). moni

Zillig, Jochen, "Seitensprünge", Erzählung, 160 S., Forum Verlag Riedstadt, 2003, 12,80 Euro, ISBN 3-9807543-6-7


© Bergsträßer Anzeiger   –   15.03.2003

 

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"Buchtipp" aus dem Gemeindebrief 3/03 der evangelischen Kirchengemeinde Neunkirchen: